Interview geführt von Radio Welle Irkanien, Genepohl, amaterasu 19ter heuet 2466 ii
Radio Welle Irkanien: General Lande, die Beziehungen zu Astor gelten inzwischen als funktional, aber immernoch sehr distanziert. Was verbinden Sie persönlich mit diesem Staat?
Lande: Ich denke an Parks, an Städte, die gebaut wurden, um zu gefallen, nicht um zu funktionieren. Astor ist ein Land, das sehr viel Wert auf Form legt. Auf Verfahren, Institutionen, Sprache. Es gibt dort einen tiefen Glauben an die heilende Kraft von Protokollen. Und das ist nicht zynisch gemeint. Es hat Stil. Es hat Haltung. Dennoch, Stil ersetzt keinen Stahlträger, wenn das Dach wackelt.
Radio Welle Irkanien: Also sehen Sie Astor als zu fragil?
Lande: Nicht fragil, aber vielleicht porös. Offen in alle Richtungen. Man vertraut dort sehr stark dem Prozess, auch wenn er gelegentlich ins Leere läuft. Ich bewundere, wie ernst man dort Begriffe wie „Checks and Balances“ nimmt. Aber manchmal wünsche ich mir, man würde auch mal prüfen, ob die Balance überhaupt noch trägt. Oder ob da nur noch Gewohnheit ist, wo früher Machtarchitektur stand.
Radio Welle Irkanien: In Irkanien ist vieles stärker zentralisiert, geradezu konstruiert.
Lande: Das ist neu. Noch vor zehn Jahren war Irkanien ein Chaos aus Machtzentren, Eitelkeiten, latenten Bürgerkriegsfantasien. Der Strukturstaat kam nicht aus einem Planungsbüro, sondern aus einer Not. Und ich sage das mit gewissem Groll, ich war einer derjenigen, die geholfen haben, ihn zu bauen. Oft gegen meinen Willen. Ich war Clubbesitzer mit Millionenpublikum, nicht Architekt einer Verwaltung.
Wir sind ein Strukturstaat. Unsere Machtverteilung ist nicht das Ergebnis historischer Zufälle, sondern bewusst modelliert, nach Prinzipien der Redundanz, Effizienz, Stabilität. Ein Zentralkommando ist keine romantische Idee, sondern ein konkretes Steuerungszentrum. In Astor vertraut man darauf, dass niemand zu viel will. Wir dagegen planen für den Fall, dass jemand alles will.
Radio Welle Irkanien: Und jetzt?
Lande: Jetzt bin ich Teil dieser Struktur. Ich erkenne ihre Kraft, ihre Effizienz. Aber ich vergesse nicht, wie sie entstanden ist: aus Angst, aus Wut, aus Enttäuschung über den alten Zustand. Und genau deshalb schätze ich Astor, weil es den Luxus hatte, seinen Staat langsam wachsen zu lassen. Irkanien musste schneiden, Astor hat geschnitzt.
Radio Welle Irkanien: Was lernen wir von Astor?
Lande: Resilienz durch Diskurs. Und vielleicht das Staunen. Astor glaubt noch an Debatte. Bei uns ist Debatte oft kontrolliert und gelenkt. In Astor ist sie manchmal naiv, aber lebendig. Es ist ein Spiegel, in dem wir sehen, was wir längst abgelegt haben: die Vorstellung, dass Politik ein Gespräch sein kann, nicht nur ein Befehl.
Radio Welle Irkanien: Und was könnte Astor von uns lernen?
Lande: Dass Struktur kein Feind der Freiheit ist. Dass ein Mensch nicht weniger frei ist, weil er Teil eines Systems ist – solange das System ihn schützt, trägt und fordert. Und vielleicht – ich sage das ganz unbescheiden – könnte man sich bei uns ansehen, wie man mit Würde Rechte garantiert. In Irkanien ist klar: Unsere Rechte gelten unabhängig von Geschlecht, Herkunft, Erscheinung oder Orientierung. In Astor hingegen kann man immer noch Ehen verteidigen, als hinge daran die Weltordnung. Vielleicht braucht es manchmal eben keine 200 Jahre Jurisprudenz, sondern einen funktionierenden Absatz.
Radio Welle Irkanien: Würden Sie sich selbst als Vertreter des Strukturstaats bezeichnen?
Lande (lacht leise): Ich bin einer seiner Bausteine. Kein Planer. Eher das improvisierte Gerüst, das stehen blieb, als alles andere fiel. Heute halte ich Reden, in Räumen, die ich mit entworfen habe, oft mit dem Gefühl, dass ich eigentlich nur aufräumen wollte. Aber vielleicht ist das Staatlichkeit: Das Aufräumen bleibt.
Radio Welle Irkanien: General Lande, eine letzte Frage, etwas leichter vielleicht: Was halten Sie vom neuen Bällebad in Genepohl?
Lande (schmunzelt): Ich bin begeistert. Und irritiert. Aber das ist bei uns oft dasselbe. Man nimmt eine entkernte Panzerhalle, füllt sie mit 900 Millionen bunten Bällen, organisiert eine Tapirparade und nennt es dann Kindheit. Das ist irkanisch.
Verstehen Sie mich nicht falsch: Ich finde es wunderbar. Es zeigt, dass unser Strukturstaat nicht nur Drillhallen und Drohnen kann, sondern auch Glück. Geordnetes, farbcodiertes Glück, natürlich – aber echtes Glück. Und das in einer AAA-Zone mit Notfalldach.
Ich bin mit fünf Geschwistern aufgewachsen. Wir hatten einen verrosteten Lasterreifen zum Spielen. Heute fliegt in Genepohl ein ganzer Regenbogen unter Glas. Wenn das kein Fortschritt ist, dann weiß ich auch nicht.
Und am Ende ist es vielleicht das: Eine Republik zeigt ihre Größe nicht nur in Paraden und Panzerzügen – sondern darin, wie viele Kinder in Sicherheit toben dürfen, ohne sich zu erklären.
Radio Welle Irkanien: Ihr Fazit?
Lande: Astor ist eine Bühne: ausgeleuchtet, durchdacht, manchmal ein wenig eitel. Irkanien ist ein Maschinenraum, laut, effizient, manchmal mit Ölflecken, aber zuverlässig. Beide Systeme haben ihre eigene Würde. Aber während man in Astor oft fragt: „Darf ich?“, fragen wir: „Wer bringt das Ding ins Laufen?“
Und manchmal, mitten in diesem Getriebe, steht ein Bällebad in einer ehemaligen Panzerhalle. Dann weiß man: Der Staat funktioniert und er hat Humor.
Radio Welle Irkanien: Vielen Dank, General Lande.
Lande: Gerne. Und wem muss ich jetzt die Augenbrauen lecken, um in diesem Gebäude endlich einen Tee zu bekommen?